Geschichten vom Landleben

Abtreibungsgeschichte einer Frau aus Regensburg
Zwei Striche auf dem Schwangerschaftstest an einem Freitag Abend-eine Woche vor Weihnachten. So fing es an.
Also gibt es erstmal diese eine To-Do Liste für ungewollt Schwangere: Frauenärztin anrufen, Beratungsstelle anrufen für den Beratungsschein und Termine machen. Weihnachten steht vor der Tür, also viele Feiertage und viele geschlossene Praxen – aber die Fristen laufen.
Doch wo kann ich das eigentlich in Regensburg machen lassen? Also erstmal die Frauenarztpraxen durchgecheckt. Hmm – irgendwie bietet das hier niemand an…? Dann kommt mir, dass Ärzt*innen das ja nicht veröffentlichen dürfen,…
Dann nochmal gegoogelt: „Abtreibungen in Regensburg vornehmen lassen“. Ich stoße auf eine Homepage mit dem Namen „Babycaust“. Bei dem Namen der Homepage kann einem einfach nur schlecht werden. Einige User – sog. Lebensschützer – schreiben, dass sie die Praxen gerne in die Luft sprengen würden. Doch es ist tatsächlich die einzige Plattform auf der ich Informationen darüber bekomme wo in Regensburg ein Abbruch vorgenommen werden kann.
Nach diesen Netzrecherchen weiß ich gar nicht mehr was mich gerade mehr schockiert – die überraschende Schwangerschaft oder das, was ich gerade in der einen Stunde gelesen habe.
Endlich komme ich ein bisschen zur Ruhe.
So eine ungeplante Schwangerschaft ist wie eine Gratis-Psychoanalyse: Wo stehe ich in meinem Leben? Kann ich Verantwortung für ein anderes Leben tragen? Bin ich beständig? Kann ich Mutter sein – in 9 Monaten? Welche Frauen in meiner Familie hatten auch schon einen Abbruch? Hatte meine Mutter auch schon mal eine Abtreibung? Und warum weiß ich diesbezüglich eigentlich gar nicht was in meiner Familie da so war?
Und dann das ganze Finanzielle. Hm, schlichtweg alleinerziehende Mutter zu sein ist ein Armutsrisiko. Krass. Ok und in Regensburg mit seinen Mietpreisen als alleinerziehende Mutter leben wird ein ziemlicher Drahtseilakt und ob ich da die Power habe, weiß ich wirklich nicht.
Nein, ich will das wirklich nicht. Ich stecke in den Schuhen, sonst niemand.
Dann ist der Termin bei der Beratungsstelle für den Schein.
Ich gehe raus mit schlechten Nachrichten. Anscheinend hat Regensburg hier eigene Fristenregelungen. Ich kann bis zur 10. Woche abbrechen. Aber bis zur 10. Woche nach dem ersten Tag der Regelblutung!! Ich will unbedingt medikamentös abbrechen. Aber da habe ich hier nur eine Praxis zur Wahl und die machen das aus irgendwelchen Gründen nur bis zur 7. Woche statt bis zur gesetzlich möglichen 9. Woche nach dem ersten Tag der letzten Monatsblutung. Tja, und die haben wegen Weihnachten alle zu. Wenn sie dann nach Weihnachten wieder öffnen, bin ich schon drüber mit der Zeit und es geht dann nur noch die Absaugmethode.
Das lässt mich aus der Haut fahren – noch nie zuvor hat irgendetwas von Außen so sehr über meinen Körper bestimmt! Absaugmethode geht in Regensburg nur bis zur 10. Woche nach dem ersten Tag der letzten Monatsblutung und nicht bis zur 14. – wie gesetzlich möglich! Dann verlangt eine der beiden Praxen hier einfach mal 500 Euro dafür statt 350 Euro wie in München. Aufgrund meines Einkommens bekomme ich keine Kostenübernahme.
Ich kann es kaum fassen. Was ist hier los in dieser Stadt? Ich greife wieder zurück auf die Infos von Babycaust – die einzigen möglichen Infos im Netz – mit Brechreizgarantie – um herauszufinden, welche Praxen das noch in Bayern anbieten. München, Nürnberg, Regensburg. Ernsthaft!!!? Drei Praxen für ein Bundesland mit 13 Millionen Einwohner*innen!!!?
Ich gehe zu einem der beiden Ärzt*innen hier. Nach der Untersuchung frage ich – einfach aus Interesse – wieso denn hier in Regensburg die Fristen einfach anders gesetzt werden und warum ein Abbruch nach der 10. Woche hier nicht mehr möglich ist. Der Arzt wird laut und ungehalten auf diese Frage, sagt mir, „wer so etwas fragt, ist sich der Entscheidung nicht sicher!“ und komplementiert mich aus seinem Büro. Puh – was soll mensch da sagen. Transparenz sieht echt anders aus. Und die Wahrung der Selbstbestimmung einer Patientin vor allem auch.
Mir reicht es – ich möchte entscheiden wie der Eingriff stattfindet und ich möchte einen medikamentösen Abbruch. Daher fahre ich also nach Nürnberg, muss mir ein Hotelzimmer nehmen, da ich an zwei Tagen zum Arzt muss. Endlich kann ich den Abbruch vornehmen. Es ist eine unglaubliche Erleichterung.
Das Ganze fand im Jahr 2017 statt. An den Schwangerschaftsabbruch denke ich manchmal noch – die Gründe für und gegen ein Kind sind so persönlich, so privat, haben so viel mit dem Leben während der ungewollten Schwangerschaft zu tun… Ich habe das gut verarbeitet. Das ist halt so passiert und es kann auch wieder passieren. Und das ist und war in Ordnung.
Was mir aber noch immer Fassungslosigkeit bereitet ist diese Zeit während der ungewollten Schwangerschaft. Genau da, wo ich unvoreingenommene Information gebraucht hätte, Unterstützung und Freiräume, wo niemand über irgendetwas urteilt, was der Mensch ohnehin nicht über mich wissen kann, wurde ich mit irgendwelchen kuriosen Regelungen ohne Begründung konfrontiert, konnte ich mich nur bei holocaustleugnenden rechten Plattformen informieren. Viele Menschen glauben, die Frau wäre sich nicht sicher bei der Entscheidung, bräuchte Entscheidungshilfe, urteilen darüber wie gefestigt diese nun ist und ob die Entscheidung auch wirklich triftig ist.
So sehr wurde bisher noch nie in meinem Leben über meinen Körper, über meine Psyche und Entscheidungsfähigkeit bestimmt und geurteilt wie damals.

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